Gustave Doré

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Gustave Doré
Kunstblatt aus "Hänsel und Gretel - der deutschen Kinder Freudenborn": "Schwierige Aufgabe" (nach einem Holzstich, aus Charles Perraults "Aschenputtel"), 48. Band, Heft 3, Mai 1937

In der Oktober-Ausgabe 2023 (Nummer 91) des Print-Magazins phantastisch! wird ein Artikel über Gustave Doré von Nicole Rensmann erscheinen. Danach wird dieser Artikel - in Teilen - auch an dieser Stelle veröffentlicht.

Gustave Doré -Künstler, Geschäftsmann und Zehntausendsassa

Artikel erschien im Printmagazin phantastisch! #91 (2023)
Autorin: Nicole Rensmann
Herausgeber: Atlantis Verlag
Redaktion: Klaus Bollhöfener


Gustave Doré war für die heutige Medienwelt ein wegbereitender Künstler, der mehr und mehr in Vergessenheit gerät.

Ray Harryhausen (*1920 – †2013), bekannt für Stop-Motion-Filme wie »Jason und die Argonauten« (1963) oder »Kampf der Titanen« (1981), erzählte in einem Interview mit Tim Burton (*1958), die Kunst Gustave Dorés habe ihn infiziert. Walter Moers (*1957) würde seine Bücher nur von Gustave Doré illustrieren lassen (siehe Interview Walter Moers, phantastisch! #90). Und auch der französische Künstler Stan Manoukian (*1969) nennt Gustave Doré – zusammen mit den Muppets – als seine Inspirationsquelle. Walt Disney (*1901 – †1966) persönlich bediente sich bei Dorés Märchen-Illustrationen von Charles Perrault (1628 – 1703). Eine Vielzahl von Filmemacher*innen, Autor*innen und Künstler*innen haben sich von Doré beeinflussen lassen, auch wenn sie sich dessen heute nicht mehr bewusst sind.

Grafiker und Autor Tomi Ungerer (*1931 – †2019) bezeichnetet Doré als den bedeutendsten Illustrator aller Zeiten und weiß, die Stadt Straßburg und der deutsche Maler Ludwig Richter (*1803 – †1864) haben den Künstler Gustave Doré in jungen Jahren stark beeinflusst. Und doch gab und gibt es Stimmen, die Gustave Doré als einen Künstler titulieren, der Quantität, aber nicht Qualität geschaffen hat.

Muss ein Künstler sein gesamtes, in diesem Fall, kurzes Leben, Perfektion geben? Darf er nicht vielmehr auch einmal Schwäche zeigen – als Mensch und in seiner Kunst – ohne als »kein ausreichend guter Künstler« bezeichnet zu werden? Wer war dieser Mann, dessen Grafiken Jede*r aus der heutigen phantastischen Szene gesehen, den Namen aber vergessen hat? (Louis Christophe) Gustave Doré wurde am 06. Januar 1832 in Straßburg (Frankreich) geboren. Sein Vater Pierre Louis Christophe Doré arbeitete als Ingenieur. Seine Mutter kam aus reichem Hause. Mit Strenge kümmerte sie sich um die Kinder – drei an der Zahl. Gustave hatte zwei Brüder, Erneste war ein Jahr älter, Emile ein Jahr jünger. Mit fünf Jahren zeigte sich Gustaves Talent. Er war, weiß der französische Kunsthistoriker Roland Recht (*1941) in einer Dokumentation über Gustave Doré (»Gustave Dorés Bilderwelten«, arte 2003): »… ein Wunderkind, schon als kleiner Junge musste er ein sagenhaftes visuelles Gedächtnis besessen haben.« 

Als Kind begann er Dantes »Göttliche Komödie« zu illustrieren und erhielt mit sechs Jahren in der Schule einen Preis für seine Zeichnungen. Mit elf Jahren gab er lieber eine Grafik als einen Aufsatz ab. Er zeichnete in jeder freien Minute, auch während des Unterrichts. Der Bleistift wurde zu seinem Verbündeten, mit dessen Hilfe sich der junge Gustave die Welt erklärte. Ein Drucker aus Cézériat erkannte das Talent des Kindes und bekräftigte ihn, seine Zeichnungen als Lithographien zu veröffentlichen.

1847 reiste Gustave mit seinen Eltern nach Paris, um seine Kunst zu fördern. Dabei hatten sie zunächst keinen Erfolg. Seine Eltern wollten die große Stadt wieder verlassen, doch Gustave hoffte in dieser inspirierenden Metropole bleiben zu können. Als seine Eltern nicht da waren, schlenderte Gustave durch Paris und betrachtete die Auslagen der Zeitung #Aubert und Philippon#. Keck und selbstbewusst wie Gustave Doré damals war, zeichnete er spontan ähnliche Karikaturen, brachte sie in den Laden – Gustave war 15 Jahre alt – und zeigte sie Monsieur Philippon. Der Redakteur nahm Gustave Doré von da an unter seine Obhut und verlangte einmal in der Woche eine Karikatur. Gustaves Karriere begann, was in diesem Alter zu dieser Zeit nicht ungewöhnlich war. Doch Gustave Doré hatte Visionen und Ehrgeiz wie kein Zweiter. Erste Bildermappen entstanden, die Philippe Kaenel (*1960), Professor für Kunstgeschichte an der Universität Lausanne, heute als Vorläufer der Comics bezeichnet.

Philippon rühmte sich mit dem jungen talentierten Gustave, der in Paris einen hohen Bekanntheitsgrad genoss. Die Menschen lachten über seine Späße und tuschelten, wenn er den Raum betrat. Doch auch Kritiker blieben nicht aus, die ihm rieten, er solle Unterricht nehmen und seine Überheblichkeit verspotteten. Von Zeichenunterricht wollte Gustave jedoch nichts hören. Er war Autodidakt à la perfection.

Nach dem Tod seines Vaters, am 04. Mai 1849, lebte er mit seiner Mutter und der Bediensteten Francoise in Paris in der Rue St. Domonique. Beide Frauen kümmerten sich um den Haushalt, während sich Gustave der Karriere und seinem Wahn widmete.

Mit siebzehn Jahren war er ein bekannter Künstler in Frankreich, obwohl er als Karikaturist nie völlig akzeptiert wurde. Ihn selbst langweilte es, Karikaturen in stetig gleicher Weise für Philippon abzulieferen, die weder sein Inneres zeigten noch seine Bestimmung zu sein schienen. Noch während seiner Arbeit bei Philippon, beschäftigte er sich mit der Fertigkeit des Holzstiches. Gustave Doré lernte sehr schnell, das harte Holz mit verschiedenen Geräten zu bearbeiten und Bilder mit Tiefe und Schattierungen zu erstellen. Diese Holzstiche wurden zu Druckplatten, die damit entstandenen Drucke zu Illustrationen in unzähligen Büchern.

Seine Vision

Sein Ziel war es, sämtliche Meisterwerke zu illustrieren und diese, unabhängig vom Genre, in einem einheitlichen Format zu publizieren. Die Verlage konnten seiner Idee nichts abgewinnen. Doch das hinderte Gustave Doré nicht daran, seine Vision umzusetzen. Er wurde Selfpublisher und veröffentlichte das erste großformatige Buch mit den Maßen 24 x 19 cm nach seinen eigenen Vorstellungen: Die »Göttliche Komödie« (1861) von Dante Alighieri (auch als Dantes Inferno bekannt). Es folgten u.a »Les Contes« (1862) von Charles Perrault und »Don Quijote« (1863) von Miguel de Cervantes Saavedra. Obwohl Doré durch und durch Künstler war, entpuppte er sich als innovativer Unternehmer. Er stellte Arbeiter ein, die seine Holzstiche druckten. Bevor seine Grafiken als Illustrationen in Büchern verschwanden, wie er glaubte, sollten diese zunächst ausgestellt werden. Außerdem blieb ihm Zeit zu malen und sich täglich in der Pariser Öffentlichkeit zu zeigen. Erkannt zu werden und eine Berühmtheit zu sein, war ihm der größte Applaus. Gustave Doré war ein Genie, reich und berühmt, doch glücklich war er nicht. Die positiven Stimmen, der Ruhm prallten an ihm ab. Die Kritiker waren es, die ihn antrieben, weiter und weiter zu arbeiten, besser zu werden und Illustrationen anzufertigen – mehr als 10.000 Stück! Jeder gut situierte Haushalt in Frankreich besaß ein von Gustave Doré illustriertes Buch.

Die Illustrationen

Er zeichnete sein Leben lang Figuren, oftmals mit imposanter Kulisse und in großen Gruppen mit unerschöpflichen Facetten. Doch auch Landschaften, Wälder oder Berge, zählten zu seinen Werken. Hier wählte er keine Größen, die in ein Wohnzimmer an die Wand passten, sondern übergroße Gemälde. Eines seiner Gemälde malte er mit so grellen Farben, dass die Besucher des Französischen Salons im Jahre 1876 eine Brille mit grünen Gläsern tragen mussten, um die Augen zu schützen. Seine Bergbilder zeigen den Aufstieg und den freien Fall, den Absturz, die Gefahr des Strebens nach oben. Gustave Doré war sich anscheinend bewusst, dass Erfolg auch Niedergang bedeuten kann. Um nicht in Vergessenheit zu geraten, nicht abzustürzen, arbeitete er pausenlos. Denn seine größte Angst war, dass seine Kunst nicht gesehen, nicht erkannt und er selbst vergessen wurde. Denn Reichtum hatte er genug, um Geld ging es ihm nicht.

Gustave sah nicht, dass es ihm gelang die Geschichten in den Hintergrund zu drängen und seine Illustrationen nicht den bloßen Rahmen, sondern das Wesentliche des Buches ausmachten. Mit seinen phantastischen und surrealen Grafiken, aus vielen kleinen, bedeutenden Strichen, herrlich detailliert, gelang es Doré das Leben der damaligen Zeit lebendig werden zu lassen. Seine Kunst war und ist komplex und doch wunderbar simpel zu verstehen. Zur damaligen Zeit einzigartig – und danach oftmals kopiert. Seine Illustrationen wirken, als musste Gustave Doré für sein besseres Verständnis alles Gelesene, alles Gesehene visualisieren, und zwar nach seiner persönlichen, surrealen und übertriebenen Vorstellung. Er soll depressiv gewesen sein, stets mit sich hadernd, eher der Kritik folgend als dem Lob. Heute würden wir sagen, er war hochsensibel. Ohne seine Kunst wäre er möglicherweise verrückt geworden, denn in dieser war er in der Lage seine Eindrücke, alle Emotionen, Geräusche und Erkenntnisse, die er aus Begegnungen und Eindrücken erlangte, wiederzugeben. Die Kunst hat ihn am Leben gehalten und am Ende auch getötet.

Ende der achtziger Jahre erstellte Henri Leblanc ein Verzeichnis der wichtigsten von Doré illustrierten Bücher. Darin sind mehr als 100 Bücher aufgeführt. An dieser Stelle sollen nur wenige Illustrationen benannt werden, die schwerpunktmäßig mit der phantastischen Literatur verknüpft sind. Gustave Doré illustrierte die Klassiker »Tolldreiste Geschichten« (1855) von Balzac, die Märchensammlung (1862) von Charles Perrault, darunter »Der gestiefelte Kater« oder »Aschenputtel oder die gläsernen Schuhe«, »Die Abenteuer von Münchhausen« (1862) von Théophile Gautier / Gottfried August Bürger. »Don Quijote« (1863) von Miguel de Cervantes, »Paradise Lost« (1866) von John Milton und »Die Arbeiter des Meeres« (1866) von Victor Hugo. 1883 fertigte Gustave Doré 28 Holzstiche für »Der Rabe« von Edgar Allan Poe an. Ein Jahr später wurde das Buch bei Harper and Brothers, New York veröffentlicht. Es sollten seine letzten Illustrationen für ein weltbekanntes Literaturwerk sein, denn noch im selben Jahr starb er. Die Originalausgabe wird heute für rund 3500 Dollar angeboten (wenn auch nicht verkauft). Fundamental und bis heute bei Sammler*innen beliebt ist die von Gustave Doré illustrierte Bibel. Denn es sind seine Holzstiche, nach der die Doré Bibel benannt wurde. Seine grafischen Visionen, seine Kunst – gelobt, gefeiert, bestaunt und doch umstritten, haben es geschafft noch heute auf Tarotkarten, in Märchenbüchern und Klassikern zu überleben. Sogar Tapeten und Poster werden mit Gustave Dorés Holzstichen bedruckt. Die Motive sind bekannt, der Name des Künstlers verblasst jedoch.


Das bleibt am Ende

Gustave Doré zeichnete hungernde Kinder auf der Straße, alptraumhafte menschfressende Monster, Tote, die in einer Schlacht überrannt werden, unbeachtet auf dem Schlachtfeld liegen gelassen, Engel und Fabelwesen und Götter, Märchenfiguren und biblische Szenen, Hungersnöte. Aber auch Karikaturen, realistische Darstellungen des alltäglichen Lebens, mystisches, märchenhaftes und Albträume. Er zeigte Wohlstand und Verderben, Angst und Verzweiflung, den Kampf Gut gegen Böse. Seine Bilder sind ausgeleuchtete Wimmelbilder des 19. Jahrhunderts, in denen er das Leben, die Politik, die Menschen darstellte und ihnen einen Spiegel vor das Gesicht hielt, was besonders die Kritiker nicht sehr erfreute. Gustave Doré besaß Empathie, Scharfsinn und ein besonderes Gespür für Mensch und Umwelt. Aufgrund seiner Hochsensibilität, seiner Depressionen ruhte er sich nie auf seinem Erfolg aus, denn er ertrug die Kritiken nicht und litt sehr darunter, dass seine Illustrationen oftmals nicht verstanden wurden. Gustav Doré war exzessiv, ja maßlos in seiner Kunst und powerte seinen kreativen Geist komplett aus, nur um geliebt zu werden. Doré war ein Grafiker, ein Illustrator, ein Künstler, für den die Kunst mehr als eine Berufung war, es war eine Sucht, an der er am 23. Januar 1883 in Paris, mit nur 51 Jahren, an einem Herzinfarkt starb, ohne jemals vollste Zufriedenheit erlangt zu haben.

Quellenverzeichnis

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise